Warum langsames Lesen nicht dasselbe wie gründliches Lesen ist
Während meines Magisterstudiums tat ich genau das, was alle anderen auch taten. Ich setzte mich mit meinem Stoff hin und las die Texte langsam von A bis Z durch. Alles hielt ich für gleich wichtig. Das war allerdings keine zweckmäßige Lesestrategie. Regelmäßig verlor ich den Überblick und erkannte daher oft nicht die wesentlichen Botschaften in den Texten. Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich mehrere Seiten „gelesen“ hatte, ohne den Inhalt erinnern zu können. Die Augen waren über die Zeilen der Seiten gehuscht, aber der Sinn war mir nicht bewusst geworden.
Gemeinhin gibt es das Missverständnis, dass langsames Lesen auch mit dem Verstehen des Textinhaltes einhergeht. Tief in den meisten von uns sitzt die Angst, bei schnellem Lesen könnte uns etwas vom Inhalt entgehen. Gleichzeitig glauben wir, dass wir den Inhalt eines Textes nach einmaligem Lesen zu 100 % wiedergeben können – wohlgemerkt nach nur einem Mal lesen! Das zusammen bewirkt, dass wir automatisch die Lesegeschwindigkeit heruntersetzen. Wir haben nämlich die Vorstellung, wenn wir weniger Worte auf einmal lesen und den Text Wort für Wort erlesen, bekämen wir ein besseres Verständnis für den Inhalt. Das Problem ist jedoch, dass das Gehirn beginnt sich zu langweilen, wenn wir zu langsam Lesen und dann auch die Konzentration schwindet.
Man verliert einfach die Motivation, sich das Material ordentlich vorzunehmen. Es nützt nichts, sich auf seine vier Buchstaben zu setzen und zu versuchen, die Konzentration zu erhalten. Das Problem ist hier, dass das Gehirn einfach zu wenige Informationen erhält, und sich dann einfach mit anderen Themen beschäftigt. Die Gedanken beginnen zu wandern, zum Beispiel was am letzten Wochenende war oder an was heute sonst noch zu denken ist, wie etwa der Einkauf auf dem Heimweg. Und plötzlich ist der Fokus nicht länger bei dem, was wir gerade lesen.
Zielgerichteter Zugang zum Text ist das A und O
Wenn wir allerdings daran arbeiten, schneller zu lesen, erfassen wir größere Mengen an Informationen auf ein Mal. Plötzlich sind es mehr Worte im selben Augenblick, die schneller eine Sinneinheit ergeben. Auf diese Weise erhalten wir einen besseren Zugang zu einer Problemstellung oder einer Handlung im Text. Es geht einfach darum, einen zielorientierteren Zugang zu den Texten zu bekommen, die wir lesen.
Es ist nicht immer zwingend das Beste, auf Seite eins zu starten und alles chronologisch zu erarbeiten. Stattdessen kann es sinnvoll sein, sich einen Überblick zu verschaffen und sich einige Fragen zu stellen, bevor man beginnt, einen Text zu lesen. Vielleicht kann es sich lohnen, zunächst Kapitel sieben zu lesen, bevor man Kapitel zwei liest. Kapitel sieben könnte einige Leitfäden enthalten, die die Erwartungshaltung und das Vorwissen unterstützen und untermauern, für das, was anschließend erarbeitet wird. Es könnte sein, dass man dort auf etwas stößt, das die Neugier auf den kommenden Inhalt weckt. Oder der Abschnitt führt zu einem besseren Einblick in die Struktur des Textes, so dass man sich später besser auf das Wesentliche konzentrieren kann. (Hier ist natürlich die Rede von Fachtexten. Mir persönlich würde es im Traum nicht einfallen, das Ende eines Romans zuerst zu lesen!)
Stellen Sie sich Fragen zum Text
Wenn ich mir etwas ansehe, das mein Fachgebiet betrifft, mache ich es oft so, dass ich mit dem Stichwortverzeichnis starte. Wenn ich dort etwas finde, das mir gut bekannt ist, ist das ein guter Ausgangspunkt, den Autor eines Textes besser kennenzulernen. Wie ist er fachlich einzuordnen? Und stimme ich mit der Meinung des Autors überein? Es kann jedoch auch sein, dass ich etwas entdecke, bei dem ich denke: „Was ist das denn? Das habe ich ja noch nie gehört!“ Dann schlage ich es direkt im Text nach und lese es. Anschließend habe ich den Sinn verstanden und kann mich dann besser auf den übrigen Text konzentrieren.
Wenn wir also unser Gehirn auf das vorbereiten, was uns nun erwartet, und gleichzeitig schneller lesen, eröffnen wir uns Möglichkeiten zu einem klareren Textverständnis und schaffen damit voraussichtlich mehr, als wenn wir das Material – Wort für Wort – durchkauen.